Die Kunst des Ernest Hemingway in drei Kurzgeschichten:
Der alte Mann an der Brücke
Ernest Hemingway hat in seine Kurzgeschichten die Weisheit eines ganzen Lebens eingebracht. So auch in dieser sehr kurzen Geschichte. Ein Soldat bewacht während des Krieges in Spanien eine Brücke kurz vor einem Angriff der Faschisten. Am Brückenkopf trifft er auf einen erschöpften alten Mann, der aus seinem Heimatort fliehen musste. Der Mann sorgt sich mehr um seine zurückgelassenen Tiere als um sich selbst. Die Geschichte beschreibt, wie der Soldat den Alten versucht zu trösten und dabei dessen Perspektive einnimmt. Sie erzählt von der Entwurzelung und der Relativität von Wertvorstellungen in Kriegszeiten.
Die zehn Indianer
Landarztsohn Nick war am amerikanischen Nationalfeiertag mit Bekannten aus seinem Dorf bei den Feierlichkeiten. Sie treffen auf dem Rückweg neun betrunkene amerikanische Ureinwohner und machen sich über sie lustig. Sein Altersgenosse Frank zieht Nick anschließend damit auf, dass dieser in eine “Indianerin”, Prudence, verliebt ist. Nick genießt das ein bisschen, streitet es aber ab. Was später geschieht, zeigt die Zerrissenheit des Heranwachsenden zwischen unschuldigem Verliebtsein und den rassistischen Vorurteilen einer Dorfgemeinschaft Jahrhunderte nach der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und demonstriert, wie hartnäckig sich Rassismus bei jedem Einzelnen immer wieder gegen liberale Offenheit durchsetzt.
Der gute Löwe
In einer der kürzesten Ernest-Hemingway-Kurzgeschichten, die Anklänge an klassische Fabeln aufweist, lebt ein geflügelter Löwe in einem Rudel blutrünstiger Artgenossen in Afrika. Am liebsten fressen diese Hindu-Händler. Der geflügelte Löwe frisst kein Fleisch und trinkt kein Blut, er nimmt Pasta und Scampi zu sich und spricht mehrere Fremdsprachen. Als die anderen Löwen ihn erst verspotten und dann töten wollen, weil sie ihn für überheblich halten, erzählt er ihnen, dass er vom Markuslöwen in Venedig abstammt und alle Tiere auf dem Markusplatz vor diesem Respekt haben. Dies hilft ihm nicht, er wird angegriffen und fliegt davon. Er flieht nach Venedig, ist aber nicht mehr derselbe wie vorher. Wer nachliest, wie es ausgeht, findet sich vielleicht selbst wieder. Auch diese Geschichte zeigt die Relativität der Maßstäbe, zudem die Nachteile der Tugend und dass auch an vermeintlichen “Heiligen”, wie es so schön heißt, “immer etwas hängenbleibt”.
Weiterführende Literatur-Tipps:
- Lesenswerte Denkanstöße zu sehr vielen Themen gibt es auf www.bulito.ch.
- Auf der Seite des Autors Harald Jelinek finden Sie Gedanken und Leseproben zu seinen Büchern.
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